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Zwei Personen von hinten, eine trägt eine trans*Flagge über den Schultern
Bildquelle: © Delia Giandeini, Unsplash

Geschlechtervielfalt und queere Lebensweisen

Geschlechtervielfalt und queere Lebensweisen sind Teile unserer Gemeinschaft. Der Begriff „queer“ beschreibt sexuelle Orientierungen, die nicht heterosexuell sind sowie Geschlechtsidentitäten, die nichtbinär (also nicht weiblich oder männlich) sind. Seit Jahrzehnten gewinnen sie zunehmend an Sichtbarkeit und in Teilen der Bevölkerung auch an Respekt. Es trauen sich immer mehr Menschen, offen mit ihrer sexuellen Orientierung und/oder Geschlechtsidentität umzugehen. Dies gilt insbesondere für jüngere Menschen (und damit die Zielgruppe der Jugendfreiwilligendienste), die mutig und offen zur ihrer Trans- oder Zwischengeschlechtlichkeit oder Nicht-Binarität stehen. Um die Freiwilligendienste queersensibel und inklusiv zu gestalten, braucht es eine grundlegende Sensibilisierung für queere Lebensrealitäten sowie sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Ebenfalls sind angemessene Vorkehrungen bei der Kommunikation, Räumlichkeiten und Verwaltung nötig.

Queere Menschen werden trotz ihrer zunehmenden Sichtbarkeit und Akzeptanz in der Bevölkerung weiterhin oft übersehen, ausgegrenzt und diskriminiert. Die Suizidquote von queeren Jugendlichen ist signifikant erhöht. Oft begegnen queere Menschen in den prägenden Phasen ihres Lebens wenigen, bis keinen Vorbildern und sie sind vergleichsweise schlecht vernetzt. Dies kann zu großer Unsicherheit und Einsamkeit führen. Zudem sind queere bzw. LSBTIQ+ Menschen (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, intergeschlechtliche und queere Menschen und weitere Geschlechtsidentitäten) in besonderer Weise feindlicher Gewalt ausgesetzt. Laut dem BMFSFJ sind registrierte Fälle von Hasskriminalität gegen LSBTIQ+ Menschen im Jahr 2022 sogar gestiegen. Diese Tatsachen unterstreichen die Notwendigkeit, queerfreundliche und sichere Bedingungen in den Freiwilligendiensten zu schaffen.

Mehr lesen:
Regenbogenportal – Das Informationspool der Bundesregierung zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt
Das Regenbogenportal des BMFSFJ bietet einen Pool von Fachinformationen, Arbeitsmaterialien, Praxishilfen und Updates zu den Themen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt.

Selbstbezeichnung und Identitäten

Die eigene Identität in Worte zu fassen, stellt eine Herausforderung dar. Für das eigene Geschlecht und die sexuelle Orientierung gibt es viele Möglichkeiten der Selbstbezeichnung. Definitionen der verschiedenen Selbstbezeichnungen und Begrifflichkeiten sexueller Orientierung und geschlechtlicher Vielfalt finden sich im Glossar des Regenbogenportals der Bundesregierung.

Geschlecht hat verschiedene Ebenen. Neben den körperlichen Komponenten, wie Hormonen und Chromosomen oder Geschlechtsorganen, sind vor allem die sozialen Komponenten (z.B. Selbstwahrnehmung) von großer Bedeutung. Diese Ebenen können alle übereinstimmen, müssen sie aber nicht. Aus der unterschiedlichen Übereinstimmung oder Inkongruenz zwischen sozialen und körperlichen Ebenen ergeben sich Geschlechtsidentitäten wie cisgender, männlich, weiblich, trans*, inter*, nichtbinär, agender und weitere.

Bei der Vielfalt romantischer und sexueller Orientierung dreht sich alles um Liebe und/oder sexuelle Anziehung. Da dies in Zusammenhang mit dem Geschlecht der jeweiligen Person gebracht wird, gibt es hierfür unterschiedliche Begriffe und Selbstbezeichnungen wie hetero-, homo-, bi-, pan- oder asexuell sowie schwul, lesbisch, queer und aromantisch.

Mehr lesen:

Lexikon der kleinen Unterschiede: Begriffe zur sexuellen und geschlechtlichen Identität – Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg.

Sensible Kommunikation und Outing

Sprache soll Realität in Worte fassen. Queere bzw. LSBTIQ+ Menschen befinden sich genauso in der Mitte der Gesellschaft wie nicht-queere Menschen. Dies muss sich auch in der Sprache zeigen. Die deutsche Sprache ist maskulin und binär geprägt und bildet damit nicht die volle und komplexe Realität ab. Gendern in Wort und Schrift ist daher notwendig. Damit möglichst viele Personen sich angesprochen und einbezogen fühlen, sollte, wo möglich und angebracht, eine genderneutrale Sprache verwendet werden, sofern dies der Barrierefreiheit nicht entgegensteht.

Viele Personen fühlen sich auch zwischen oder jenseits der Geschlechtsbinarität von Männlichkeit und Weiblichkeit verortet. Dies sollte bei der Erstellung von Materialien, Formularen und anderen Unterlagen berücksichtigt werden. Im Bewerbungsverfahren baut es bspw. Hürden ab, wenn Freiwillige neben männlich und weiblich auch eine neutrale Anrede wählen können. Um Misgendern zu vermeiden, kann in der Kommunikation mit Freiwilligen eine genderneutrale Anrede verwendet werden: z.B. „Guten Morgen Laura Schmidt“ anstatt „Liebe Frau Schmidt“.

Zu Beginn des Freiwilligendienstes sollten Wunschnamen und Pronomen der Freiwilligen abgefragt werden. Vertrauen sich Freiwillige ihren Pädagog*innen gegenüber an, sich als queer, trans*, inter* usw. zu outen, sollte grundsätzlich mit Aufgeschlossenheit, Wertschätzung und Vertraulichkeit reagiert werden. Bei Unsicherheiten und Unklarheiten sind respektvolle Fragen auch unterstützend. Mit dieser Offenbarung macht sich ein Mensch sehr verletzlich. Daher sollte es in jedem Fall unterlassen werden, diese vertrauliche Information öffentlich zu machen. Insbesondere in der Kommunikation zwischen dem Träger und der Einsatzstelle, oder mit anderen Freiwilligen, sollte die gewünschte Selbstbezeichnung und die Privatsphäre der Freiwilligen respektiert werden. Träger sollten vorsichtig darauf achten, dass sie keine Freiwilligen „fremd-outen“, bspw. durch das Mitteilen einer Diskrepanz zwischen amtlichen und erwünschten Namen und Pronomen.

Mehr lesen:
Gendern in Leichter Sprache: Eine Anleitung – Genderleicht und Bildermächtig.
Gendern, wie z.B. Gendersonderzeichen oder genderneutrale Ausdrucksweise, stellt für die Einfache Sprache und die Leichte Sprache besondere Herausforderungen dar. Bei diesen Formen barrierefreier Kommunikation muss auf binäre Ausdrucksformen – z.B. „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“ – zurückgegriffen werden. Die Anleitung von Genderleicht und Bildermächtig vermittelt praktische Hinweise zum Gendern in Leichter Sprache, die auch für die Einfache Sprache relevant sind.

Geschlechtergerechte Sprache: Antwort auf häufige Fragen – Regenbogenportal der Bundesregierung
Dieser Artikel bietet eine Einführung in genderneutrales bzw. geschlechtsgerechtes Schreiben und Sprechen und beantwortet häufig gestellte Fragen dazu.

Gendersensible Verwaltung im Freiwilligendienst

Bei trans*, inter* und nicht-binären Freiwilligen können auf Verwaltungsebene Hürden auftreten. Konnte noch keine Namens- und Personenstandsänderung erfolgen, gibt es eine Diskrepanz zwischen Wunschnamen und amtlichen Namen. Zeugnisse und Dienstvereinbarungen müssen Letzteres enthalten. An allen anderen Stellen sollte man mit dem Wunschnamen und dem Wunschpronomen arbeiten. Dies zeigt nicht nur Respekt gegenüber der betreffenden Person, sondern verhindert zudem Fremd-Outings. Sobald eine amtliche Namensänderung vollzogen wurde, müssen auf Wunsch des*der Freiwilligen alle Dokumente rückwirkend abgeändert werden.

Falls eine Namens- und Personenstandsänderung noch nicht vorgenommen wurde, können Träger Zeugnisse zweimal ausstellen: Eine offizielle Kopie mit dem amtlichen Namen und eine zusätzliche Kopie mit dem Wunschnamen. Somit können Freiwillige das Zeugnis mit dem Wunschnamen für künftige Bewerbungen nutzen, auch wenn sie noch keine Namens- und Personenstandsänderung vorgenommen haben.

Im Seminarkontext

Die Seminare im Freiwilligendienst sind Orte wertvoller Bildungsarbeit. Sie bieten die Möglichkeit, vielfältige Themen mit Freiwilligen zu besprechen. Vielfalt von Geschlecht und sexueller Orientierung ist ein relevantes gesellschaftliches Thema, das für Seminare in den Freiwilligendiensten geeignet ist. Durch die sensible und diskriminierungskritische Behandlung dieses Themas auf Seminaren kann zu LSBTIQ+ und queeren Lebensweisen sensibilisiert und Diskriminierung vorgebeugt werden.

Bei der Behandlung von queeren Themen im Seminarkontext ist die eigene Haltung der pädagogischen Mitarbeitenden besonders bei kritischen Meinungsäußerungen gefragt. Der Umgang mit solchen Aussagen sollte immer verhältnismäßig und lösungsorientiert erfolgen. Bei Erniedrigungen, Mobbing oder Androhung von Gewalt ist die Grenze überschritten und ein Eingreifen dringend erforderlich. Präventiv hilft es, sich offen mit der Thematik zu befassen. In allen Bundesländern gibt es u.a. Bildungsinitiativen, die Workshops und Vorträge zu queeren Themen anbieten. Eine Einheit zu diesen Themen im Seminarkontext kann kritische Situationen entschärfen.

In den Seminaren können pädagogische Mitarbeitende dazu beitragen, dass auch queere und LSBTIQ+ Menschen sich wiederfinden und repräsentiert fühlen. Seminarmaterialien sollten eine inklusive, genderneutrale Sprache verwenden. Bei der Zimmerverteilung ist es sinnvoll, mit betreffenden Personen zu besprechen, in welchem Zimmer sie sich wohl fühlen würden. Es sollte neben Zimmern für männliche und weibliche Freiwillige auch Optionen für gemischte Zimmer geben. Nach Möglichkeit sollte trans*, inter* und nicht-binären Personen bei Bedarf ein Einzelzimmer angeboten werden.

Es sollte darauf geachtet werden, dass WC-Räume auch für inter*, nichtbinär und trans* Freiwillige inklusiv zugänglich gemacht werden. Oft bieten sich barrierefreie WC-Räume als passende Option für geschlechtsneutrale Toiletten an. Falls keine geschlechtsneutralen Toiletten im Seminarhaus vorhanden sind, kommen verschiedene kreative Lösungen zum Einsatz: Zum Beispiel kann an der Tür zu den Damentoiletten ein Hinweis angebracht werden, dass die WC-Räume auch für inter*, nichtbinär und trans* Freiwillige offenstehen. Für solche Ausschilderungen eignen sich die Abkürzung FLINTA (Frauen, Lesben, Inter*, Nichtbinär, Trans* und Agender) sowie Symbole, die d ie Geschlechtervielfalt abbilden, wie bspw. das trans* Symbol (siehe Icon). Alternativ können die WC-Räume – ohne Zuornung nach Gender oder Geschlecht – einfach als „Steh- und Sitzklos“ und „nur Sitzklos“ bzw. als „Unisex-Toilette“ oder „All Gender Restroom“ ausgeschildert werden. Alternativ kann einfach mit den Freiwilligen abgestimmt werden, dass jede Person die WC-Räume benutzten darf, bei der sie sich wohl fühlt.

Mehr lesen / Arbeitshilfen für queersensible Bildungsarbeit

Willst du mit mir gehen? Gender_Sexualität_Begehren in der machtkritischen und entwicklungspolitischen Bildungsarbeit” quix – kollektiv für kritische Bildungsarbeit, 2016. Die Broschüre vermittelt machtkritische und intersektionale Ansätze zur Bildungsarbeit für Freiwilligendienste, besonders zu den Themen Gender, Geschlechtervielfalt, Diskriminierung und Sexualität.


Die Genderfrage in interkulturellen Jugendbegegnungen”, Centre Français de Berlin, Union Peuple et Culture und Deutsch-Französisches Jugendwerk, 2017. Diese Broschüre enthält Basiswissen zu den Themen Gender und Diversität sowie einen Methodenleitfaden zu Genderfragen im interkulturellen Jugendaustausch.

Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Bildungsmaterialien: Regenbogenportal der Bundesregierung

Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Jugendarbeit – Regenbogenportal der Bundesregierung

Queere Bildung e.V. Fachverband queerer Bildungsarbeit

Engagiert und queer - ein Beispiel aus der Praxis

Queere Themen sind komplex. Es benötigt Zeit und Lust, sich damit zu beschäftigen. Damit alle Mitarbeitenden zu diesem Thema sensibilisiert werden, können Schulungen hilfreich sein. Ein Beispiel aus Baden-Württemberg zeigt eine engagierte Ausführung. Das Wohlfahrtswerk Baden-Württemberg hat es sich 2022/23 zur Aufgabe gemacht, im Rahmen eines Projekts alle Mitarbeitende zu queeren Themen zu schulen, Workshops auf Seminaren anzubieten und die Trägerstruktur queerfreundlich zu machen. Queere Freiwillige werden individuell gefördert und eine Empowerment-Jugendgruppe aufgebaut.

Mehr lesen:
Engagiert und queer: Wohlfahrtswerk Baden-Württemberg

Erstellt in Zusammenarbeit mit Bastienne Pletat, Bildungsreferent*in für Freiwilligendienste und Projektkoordinator*in „Engagiert und queer“