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Pädagogische Begleitung von Freiwilligen mit psychischen Belastungen

Psychische Belastungen und Erkrankungen betreffen große Teile der Bevölkerung in Deutschland und weltweit. Auch unter den Menschen, die Freiwilligendienste leisten, können psychische Erkrankungen und Belastungen sowie psychische/seelische Behinderungen vorkommen. In vielen Fällen handelt es sich um vorübergehende Belastungs- oder Krankheitsphasen. Aber auch akute Krisen sowie dauerhafte und schwere Behinderungen kommen vor. Egal wie sie einzuordnen sind, können psychische Belastungen große Herausforderungen beim Ableisten eines Freiwilligendienstes darstellen. Ebenfalls stellen sie pädagogische Mitarbeitende im Freiwilligendienst vor komplexe Herausforderungen. Nichtdestotrotz sind die meisten Menschen mit psychischen Belastungen in der Lage, einen Freiwilligendienst erfolgreich zu leisten, ihre Krisen zu überstehen (ggf. mit ergänzender therapeutischer Hilfe außerhalb des Freiwilligendienstes) und ggf. daran zu wachsen.

Der sensible Umgang mit Freiwilligen mit psychischen Belastungen/Erkrankungen ist nicht nur ein Inklusionsthema, sondern auch eine wichtige Kompetenz für die pädagogische Begleitung in den Freiwilligendiensten. Für pädagogische Mitarbeitende ist es wichtig, die eigene Haltung zu reflektieren, die Abgrenzung zwischen pädagogischer Begleitung und Therapie zu verstehen und hier Grenzen im eigenen Handeln zu setzen. Grundkenntnisse im psychiatrischen Hilfesystem sind hier sehr hilfreich. Auch ist es wichtig, einen Notfallplan für akute Krisen zu haben und in Notsituationen sensibel und verantwortungsvoll zu handeln.

Psychische Belastungen und Erkrankungen sowie seelische Behinderungen sind Teil des Lebens. Sie betreffen jährlich ungefähr 30 % der Bevölkerung in Deutschland. Mädchen und Frauen fast doppelt so oft wie Jungen und Männer. Zudem sind insbesondere queere und LSBTIQ+ Menschen, Menschen mit Fluchtgeschichten und Migrationshintergrund, von Armut betroffene Menschen, Menschen mit Behinderungen sowie andere marginalisierte Personengruppen deutlich häufiger von psychischen Belastungen und Erkrankungen betroffen.

Trotz ihrer Verbreitung bleiben psychische Erkrankungen häufig stigmatisiert. Ihnen wird oft mit Berührungsängsten, Scham oder Ablehnung begegnet. Dies führt dazu, dass Hilfsangebote manchmal nicht in Anspruch genommen werden. Pädagogische Mitarbeitende in den Freiwilligendiensten können durch ihre Bildungsarbeit und ihre nach außen getragene Haltung zum Abbau von Stigmatisierung und verbesserter Inanspruchnahme psychischer Hilfen beitragen. Hierfür ist eine klare, inklusive Haltung wichtig. Soweit dies im Rahmen der pädagogischen Begleitung leistbar ist, sollte angestrebt werden, Freiwillige mit psychischen Belastungen/Erkrankungen zu unterstützen, damit sie ihren Freiwilligendienst erfolgreich abschließen können.

Im Bewerbungsverfahren

Generell ist es angeraten, Freiwillige und Interessierte bereits im Rahmen des Bewerbungsverfahrens dazu einzuladen, ggf. vorliegende Behinderungen oder psychische Belastungen/Erkrankungen zu thematisieren. Bei der Offenlegung und Besprechung von Diagnosen, Erkrankungen und/oder Behinderungen sind immer die Privatsphäre und der Datenschutz der betroffenen Person zu beachten und ggf. offengelegte Informationen vertraulich zu behandeln.

Damit Freiwillige sich trauen, eine Behinderung oder eine psychische Erkrankung anzusprechen, sollte klar kommuniziert werden, dass diese kein pauschales Ausschlusskriterium sind. Grundsätzlich können Menschen mit psychischen Erkrankungen erfolgreich an Freiwilligendiensten teilnehmen. Dennoch: In manchen Situationen, bspw. bei akuten Krisen oder bei Psychosen, die noch nicht medikamentös eingestellt sind, sollte zuerst eine entsprechende Behandlung abgeschlossen werden, bevor die betroffene Person einen Freiwilligendienst absolviert.

Aufgaben der pädagogischen Begleitung

Pädagogische Mitarbeitende der Freiwilligendienste dürfen und können weder Diagnosen stellen, noch Ursachen (bspw. von Traumata) erforschen oder die Symptome einer psychischen Erkrankung behandeln. Solche Aufgaben sind per Definition therapeutisch und dürfen nur von qualifizierten Psychotherapeut*innen und Psychiater*innen ausgeübt werden.

Bei der pädagogischen Begleitung von Freiwilligen mit psychischen Belastungen ist es insgesamt wichtig, professionelle Distanz zu wahren sowie die Grenzen der eigenen Belastbarkeit und der vorhandenen Ressourcen bzw. des eigenen Einfluss- und Verantwortungsbereichs klar im Blick zu haben.

Trotzdem können pädagogische Mitarbeitende manches tun, um Freiwillige mit psychischen Belastungen/Erkrankungen zu unterstützen. Hierzu gehören beispielsweise:

  • potenzielle psychische Belastungen ansprechen und vertrauliche Gespräche anbieten,
  • zuhören, reden und Problemlage klären,
  • beraten und ggf. in das therapeutische Hilfesystem vermitteln,
  • bei der Therapiesuche unterstützen,
  • Präventions- und Aufklärungsangebote in Bildungsseminaren anbieten. 

Potentielle psychische Belastungen ansprechen: Bei wahrnehmbaren Ansatzpunkten auf psychische Belastungen oder Erkrankungen empfiehlt es sich, die Betroffenen darauf anzusprechen und ein vertrauliches Gespräch anzubieten. So zeigen Sie den Betroffenen gegenüber Wertschätzung, Fürsorge und Offenheit für weitere Gespräche. Wichtig ist, den Betroffenen auch die Möglichkeit zu geben, sich aus einem Gesprächsangebot zurückzuziehen. Sollte die Person das erste Gesprächsangebot ablehnen, empfiehlt es sich dennoch, aufmerksam zu bleiben und immer wieder in den Kontakt zu gehen. 

Zuhören, reden und Problemlage klären: Offenbaren Freiwillige pädagogischen Fachkräften eine emotionale oder psychische Belastung, sollte im Rahmen eines vertraulichen Gesprächs die Problemlage sensibel geklärt werden. Dabei geht es nicht darum, Diagnosen zu stellen, sondern grundsätzlich zu klären, wo das Problem liegt: Liegt die Belastung bspw. an einer Überforderung oder an einem Konflikt in der Einsatzstelle? Hat die Person gerade Probleme in der Familie oder im Freundeskreis, die Stress verursachen? Oder liegt es an einem psychischen Problem, das therapeutische Unterstützung und Behandlung benötigt? Hier steht die Klärung der Problemlage im Mittelpunkt, damit eine ggf. vorliegende psychische Belastung oder Störung besser erkannt werden kann. Im Zweifelsfall sollte der/die Freiwilligendienstleistende an eine therapeutische Sprechstunde oder in ärztliche Behandlung vermittelt werden, damit eine abklärende Diagnostik professionell durchgeführt werden kann.

Informationen über das Hilfesystem bereitstellen und ggf. ins Hilfssystem vermitteln: Im Rahmen eines vertraulichen Gesprächs können pädagogische Mitarbeitende niedrigschwellig über das Hilfesystem informieren und versuchen, die individuelle Situation zu klären. Hier reflektieren sie bspw. die Lage der Freiwilligen, informieren soweit möglich über das professionelle Hilfesystem und unterstützen ggf. bei der Organisation und Wahrnehmung weiterführender Hilfen.

Informationen zum Hilfesystem: In Deutschland gibt es drei Säulen des psychiatrischen Hilfesystems: Präventionsangebote (bspw. Selbsthilfegruppen, Bildungsangebote zur Stressbewältigung und Entspannung), niedrigschwellige Beratungsangebote (z. B. das Seelsorgetelefon oder Krisentelefon, oder ambulante Beratungsstellen für psychische Krisen) und Angebote der Psychotherapie (ambulant und stationär). Falls eine Therapie nicht kurzfristig in Anspruch genommen werden kann, kann die Wahrnehmung niedrigschwelliger Beratungsangebote eine Überbrückungslösung sein.

Bei der Therapiesuche unterstützen: Die Suche nach einem Therapieplatz geht oft mit vielen Absagen und langen Wartezeiten einher. In vielen Orten Deutschlands reicht das Angebot der zugelassenen Therapeut*innen für die Nachfrage nicht aus. Betroffene müssen aktiv nach geeigneten Psychotherapeut*innen in ihrer Stadt oder Region suchen, die Therapeut*innen kontaktieren und nach verfügbaren Therapieplätzen fragen. Für psychisch belastete Menschen kann diese Aufgabe zu Überforderung führen; sie benötigen oft eine aktive Unterstützung. Pädagogische Mitarbeitende können im Einzelfall im Rahmen ihrer Möglichkeiten bei der Recherche und beim Anfragen geeigneter Therapeut*innen ihre Hilfe anbieten, damit die Freiwilligendienstleistenden vorankommen und nicht aufgrund von Überforderung aufgeben.

Hinweis zur Therapiesuche: Nur Therapeut*innen mit einer Kassenzulassung können ihre Leistungen über die gesetzlichen Krankenkassen abrechnen. Falls keine Therapiemöglichkeit mit Kassenzulassung gefunden werden kann, kann ein privates Therapieverfahren unter bestimmten Bedingungen über die Krankenkasse erstattet werden. Deshalb sollten Therapieanfragen schriftlich erfolgen, auch wenn die erste Anfrage per Telefon stattfindet. Absagen sollten für ein potenzielles, späteres Kostenerstattungsverfahren dokumentiert werden. Zudem gibt es in jedem Bundesland eine Kassenärztliche Vereinigung, die bei der Therapiesuche bzw. Vermittlung von Therapieplätzen unterstützen kann.

Präventions- und Aufklärungsangebote in Bildungsseminaren anbieten: Die Seminare im Freiwilligendienst bieten auch Zeit für Austausch und die Auseinandersetzung mit Thematiken zur psychischen Gesundheit. Sie können zugleich geeignete Orte für die Durchführung von Bildungsangeboten zur Aufklärung und Prävention sein. Erfahrungsgemäß werden Seminarangebote zur psychischen Gesundheit oft selbst von den Freiwilligen angefragt. Die Durchführung solcher Bildungsangebote ist eine Chance, Stigmata zu thematisieren und aufzubrechen, Kompetenzen und Bewältigungsstrategien für das Stresserleben zu erlernen und zu üben oder über Hilfsangebote zu informieren. Hierzu können bei Bedarf externe Fachkräfte eingeladen werden, die spezialisierte Bildungsangebote zu diesem Thema durchführen können.

Gute Bedingungen und förderliche Maßnahmen für psychische Gesundheit

Um mentale Gesundheit zu fördern und Freiwillige mit psychischen Belastungen/Erkrankungen besser zu unterstützen, sind geeignete Bedingungen und Maßnahmen erforderlich. Präventiv gegen Überforderung und Belastung hilft es oft, wenn Freiwillige vertrauliche Ansprechpersonen haben, bei denen sie Probleme im Alltag besprechen können. Stehen keine geeigneten Vertrauenspersonen in der Einsatzstelle zur Verfügung, können pädagogische Mitarbeitende des Trägers diese Rolle durch regelmäßige Kontakte und Gesprächsangebote füllen. Träger können auch proaktiv Kontaktdaten psychosozialer Beratungsstellen für Freiwillige zusammenstellen.

Die gesetzlichen Vorschriften zum Arbeitsschutz gelten auch für Freiwilligendienste. Psychische Gesundheit sollte mit Freiwilligen, Einsatzstellen und dem eigenen Trägerteam als wichtiger Bestandteil des Arbeitsschutzes regelmäßig thematisiert werden. Beim Einsatz von Freiwilligen sollte immer auf Überforderungsrisiken geachtet werden, bspw. in Bezug auf die Leistungsanforderungen in der Einsatzstelle. Anderen mentalen Risikofaktoren wie Mobbing, Isolation, Stress, Diskriminierung usw. sollte in der Einsatzstelle vorgebeugt und entgegengewirkt werden – bspw. durch Sensibilisierung, Bildungsangebote.

Pädagogische Fachkräfte der Freiwilligendienste sollten nach Möglichkeit zum Thema psychische Gesundheit bzw. psychische Erkrankungen geschult werden. Die persönliche Reflektion und Auseinandersetzung mit diesem Thema sind nötige Voraussetzungen, um eine inklusive Haltung zu entwickeln und sensibel mit psychisch belasteten Freiwilligen arbeiten zu können. Hilfreich können auch Kurse zur psychischen Ersten Hilfe sein.

Auch im Seminarkontext sollte für gesunde Bedingungen gesorgt werden. Bildungsseminare können bei manchen Freiwilligen Ängste und Stress auslösen. Die Reise zu einem unbekannten Ort, die Übernachtung im geteilten Zimmer mit unbekannten Menschen und die Selbst- und Fremdwahrnehmung innerhalb der Seminargruppe können belastend sein. Pädagogische Mitarbeitende können diese Stressoren mildern, wenn sie vorab mit Freiwilligen über ihre Bedürfnisse und Wünsche reden, Informationen über den Seminarort bereitstellen und ein Kennenlernen (bspw. via Videokonferenz) zwischen den Freiwilligen vor der Seminarwoche ermöglichen. Ebenfalls sollte im Seminarhaus ein Rückzugsraum zur Verfügung stehen.

Umgang mit Krisen und Notsituation

Psychische Krisen können überall auftreten – auch in der Einsatzstelle oder auf einem Seminar während eines Freiwilligendienstes. Träger sollten einen Notfallplan entwickeln, in dem Zuständigkeiten, Kontaktdaten und Abläufe festgehalten werden. In schlechten Phasen einer psychischen Erkrankung kann die Dienstfähigkeit der Betroffenen eingeschränkt sein. Bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdungist immer der Notruf (Tel: 110 oder 112) zu wählen. Auch der Rettungsdienst, der Sozialpsychiatrische Dienst, die Unterbringungsbehörde oder der örtliche Krisendienst können in Notsituationen hinzugezogen werden. Dies ist in akuten Krisen nötig, auch wenn die betroffene Person das Hilfsangebot zunächst ablehnt.

Weitere Arbeitshilfen und Informationen:

MHFA Ersthelfer (Mental Health First Aid) - Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim: Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim bietet MHFA Ersthelfer-Kurse für psychische Gesundheit an. Diese Kurse sollen die Teilnehmenden befähigen, bei psychischen Problemen und Krisen kompetent helfen zu können.
Mentale Gesundheit – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Publikationen, Fachinformationen und Ressourcen zum Arbeitsschutz im Bereich mentaler Gesundheit.
Umgang mit psychischen Erkrankungen und Krisen von jungen Menschen in internationalen Freiwilligendiensten - AKLHÜ e. V.
Orientierungshilfe für Einsatzstellen und Träger zum Umgang mit psychischen Krisen im Freiwilligendienst - LAG der Freiwilligendienste Bremen

Potentielle Anlaufstellen:
Folgende Anlaufstellen können bei der Suche nach Präventionsangeboten, Beratungsstellen und Therapiemöglichkeiten hilfreich sein. Diese Liste ist beispielhaft und dient zur Orientierung. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Prävention und Bildung
Freunde fürs Leben e. V. – Bildungsangebote zu den Themen Suizid und Depression
Irrsinnig Menschlich e.V. – Der Bildungsverein Irrsinnig Menschlich leistet seit über 20 Jahren Präventions- und Aufklärungsarbeit zur mentalen Gesundheit, z. B. an Schulen, Hochschulen, auf Seminaren im Freiwilligendienst, an Universitäten oder am Arbeitsplatz

Beratungsangebote
Beratungsführer: Beratung in Ihrer Nähe – Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e. V. – Onlineportal zu Beratungsstellen vor Ort
U25 Helpmail – Deutscher Caritasverband e. V. – Peer-Beratung und Suizidprävention für unter 25-jährige
Youth-Life-Line – Arbeitskreis Leben e. V. – Peer-Beratung und Suizidprävention für junge Menschen
NetHelp4U - Evangelische Jugend Stuttgart – Peer-Beratung und Suizidprävention für junge Menschen
Nummer gegen Kummer e. V. – Offene Beratung mit dem Schwerpunkt Kinder und Jugendliche sowie Eltern; auch Online-Beratung.

Telefonische Beratungsangebote
Telefonseelsorge: 0800 111 0111 oder 0800 111 0222, themenoffene psychosoziale Beratung.
SeeleFon – Information und Hilfe durch Telefon: 0228 7100 2424 – Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e. V. – Beratung für Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Überregionale Krisentelefone – Stiftung Deutscher Depressionshilfe und Suizidprävention

Therapiesuche
Psychotherapeutensuche.de – PsyOS GmbH – Psychotherapeut*innen suchen und finden vor Ort
Therapiesuche der Kassenärztliche Vereinigung und Terminservice (Tel: 116 117) – Kassenärztliche Bundesvereinigung
Therapeuten- und Psychotherapiesuche: Die Therapiesuche von Pro Psychotherapie e. V. – Therapiemöglichkeiten nach ORT oder Postleitzahl suchen.
Klinikradar – Innomeda GmbH – Infoportal und Suchfunktion für (Teil-)Stationäre Therapieangebote und Kliniken

(Erstellt in Zusammenarbeit mit Janna Dreckkötter, BA Sozialarbeiterin, Bildungsreferentin für psychische Gesundheit)